Lotte Loebinger – Ein Schauspielerporträt von Heinrich Vogeler

Lotte Loebinger –  Ein Schauspielerporträt von Heinrich Vogeler

Wer Heinrich Vogelers eindrucksvolles Porträts von Lotte Loebinger (1905 – 1999) in den letzten Jahren im Barkenhoff in Worpswede sah, hat sich vielleicht gefragt, wer diese Person gewesen ist. Was verbindet Vogeler mit dieser Schauspielerin?

Ich stellte mir die Frage erst kürzlich wieder einmal, als ich im Nachlass meiner Großmutter Martha Schnaars-Vogeler, genannt Mascha, eine kleine Fotografie mit einer Widmung von Lotte Loebinger fand, die mir Rätsel aufgab. Hier heißt es: „Unserer lieben teuren Mascha zum Andenken an unseren Besuch in ihrem erinnerungsschweren Haus im Schluh. Lotte Loebinger 1190 Berlin Britzerstr. 19, Plastik von Robert Riehl Foto von Ines Schiffbauer Hannover 3000 Aachenerstr. 11.“

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Ein Datum ist nicht vermerkt. Da ich seit 1990 mit meiner Großmutter bis zu ihrem Tode unter einem Dach im Haus im Schluh lebte, kann ich jedenfalls sagen, dass Lotte Loebinger vor dem Herbst 1990 in Worpswede zu Besuch gewesen sein muss. Es berührt mich auf eine besondere Weise, dass sie sich wohl mit weit über 80 Jahren auf den Weg nach Worpswede machte, um den Ort kennenzulernen, in dem Heinrich Vogeler als junger Künstler gelebt hatte. Vermutlich nutzte sie die neue Reisefreiheit nach dem Mauerfall, um den Westen Deutschlands zu bereisen. Da sie in der DDR eine bedeutende Schauspielerin im Theater und Film war, lässt sich über sie einiges recherchieren.

Sie wird am 10.10.1905 in Kattowitz/Oberschlesien geboren und tritt schon als junge Frau dem Kommunistischen Jugendverband bei. 1925 beginnt sie in Breslau ihre Schauspielerkarriere, kurze Zeit später zieht es sie jedoch in die Metropole Berlin. Hier lernt sie Erich und Kreszentia (Zenzl genannt) Mühsam kennen. Er war Herausgeber der anarchistischen Zeitschrift „Fanal“ und engagierte sich in der KPD-nahen Roten Hilfe Deutschlands.

Im Mai 1925 zieht Heinrich Vogeler mit Sonja Marchlewska und dem gemeinsamen Sohn Jan nach Groß Lichterfelde bei Berlin. Ein Atelier in einem Gartenhaus in der Elisabethstraße 33 wird ihr neues kleines Heim. Bis Ende April 1927 werden sie dort wohnen und von hier aus zu drei Reisen in die Sowjetunion aufbrechen. Dann beziehen sie ein Reihenhaus in der Onkel-Bräsig-Straße 138 in der Hufeisensiedlung Britz. Da Leberecht Migge als Gartenarchitekt für die Außenanlagen dieses vorbildhaften sozialen Wohnungsbauprojektes von Bruno Taut und Martin Wagner verantwortlich war, kann es durch aus sein, dass Heinrich Vogeler durch ihn den Hinweis bekam, sich für eine Wohnung zu bewerben. Migge war Grundstücksnachbar in Worpswede gewesen und hatte dort mit seinen Gartentipps die Arbeitskommune von Vogeler bei der Umnutzung des Jugendstilgartens in eine gartenbauliche Nutzfläche unterstützt. Die finanzielle Situation Heinrich Vogelers ist so angespannt, dass er ab Sommer 1927 in der Berliner Arbeitsgemeinschaft für Werbung und Messebau „Die Kugel“ arbeitet. Initiator und Kopf der Gruppe ist der spätere Widerstandskämpfer Herbert Richter. Heinrich Vogeler wird Mitglied in der „Arbeitsgemeinschaft Kommunistischer Künstler“. Er arbeitet in der 29. KPD-Straßenzelle in Neukölln mit und organisiert Kinderfeste und -umzüge.

Nur wenige Straßen weiter ziehen 1927 Erich und Zenzl Mühsam in ein ähnliches Haus. Käthe Kollwitz beschreibt in ihren Tagebüchern die Zusammenkünfte in Mühsams Wohnung, die durch heftige politische Diskussionen, Satire und Spaß geprägt waren. Sie begegnet hier auch Herbert Wehner, Sonja Marchlewska und Heinrich Vogeler. Schriftsteller Theodor Plievier und seine Frau Maria Stoz gehören zum Freundeskreis. Lotte Loebinger lernt hier den kämpferischen Herbert Wehner kennen, verliebt sich in den ein Jahr jüngeren Mann und heiratet ihn im selben Jahr.

Sonja Marchlewska beschreibt in ihrem autobiografischen Buch „Eine Welle im Meer“ wie sie mit Heinrich Vogeler regelmäßig die Vorführungen in der Volksbühne am Bülowplatz (heute Rosa-Luxemburg-Platz) besuchen und sich mit Erwin Piscator und seinen Schauspielerinnen und Schauspielern anfreunden. 1927 gründet Piscator seine eigene Bühne am Nollendorfplatz. Erich Mühsam wird Mitglied im künstlerischen Beirat der Piscator-Bühne.

Lotte Loebinger erhält 1929 ein Engagement im Piscator-Kollektiv und geht 1931 mit ihm auf eine Tournee durch Deutschland und Österreich, um das Stück „§218“ (Frauen in Not) aufzuführen. Bei Piscator begegnet sie u.a. dem Schauspieler Heinrich Greif (1907 Dresden - 1946 Berlin), der ein Jahr vorher zum Theater-Kollektiv dazugestoßen war.

Im Mai 1929 kommt das Theaterstück „Kolonne Hund“ von Friedrich Wolf auf die Bühne des Arbeiter-Theater-Bundes in der Hasenheide zur Uraufführung. Thema des Stücks Vogelers Kommune Experiment Barkenhoff, Regie und Hauptrolle Gustav von Wangenheim, Bühnenbilder Heinrich Vogeler. Es gibt in der Roten Hilfe Deutschland und der KPD heftige Richtungskämpfe. Da Vogeler dazu am III. Reichskongress der Roten Hilfe Deutschland Stellung nimmt, wird er im Oktober 1929 aus der KPD und der RHD ausgeschlossen. Er galt als ein Anhänger der Kommunistischen Partei-Opposition, Wilhelm Pieck nennt ihn öffentlich einen „Verbrecher“ und „Feind der Roten Hilfe“.

1931 bekommt Lotte Loebinger das Angebot erstmals in einem Kinotonfilm mitzuspielen. In „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ von Fritz Lang spielt sie eine kleinere Nebenrolle. Dann folgt 1932 der Film „Das erste Recht des Kindes“ und 1933 „Eine Stadt steht Kopf“.

Schon 1931 gibt es Großrazzien in Berlin, bei denen man nach unliebsamen politisch aktiven Menschen sucht. Im Juni nimmt Heinrich Vogeler einen Auftrag in einem Komitee für die Standardisierung des Bauwesens in der Sowjetunion an und verlässt Deutschland. Sonja und Jan folgen im Frühjahr 1932. Friedrich Lengnik, ein sehr enger Mitarbeiter von Lenin und Julian Marchlewski, vermittelt ihm diesen Auftrag. Der Russe Lengnik hatte Vogeler in Berlin besucht und ihm diese Arbeit vorgeschlagen, als er die soziale Not des Künstlers sah. 1934 wird Vogeler offiziell aus Deutschland ausgebürgert. Eine Rückkehr ist nicht mehr möglich.

Kurz nach der sogenannten Machtergreifung der Nationalsozialisten wird Erich Mühsam inhaftiert und am 10. Juli 1934 von der SS-Wachmannschaft des KZ Oranienburg ermordet. Zenzl Mühsam flüchtet nach dem Tod ihres Mannes nach Moskau, obwohl sie ihr Mann davor ausdrücklich noch gewarnt hatte und wird dort erstmals 1936 wegen „konterrevolutionärer trotzkistischer Tätigkeit“ inhaftiert. Nach verschiedenen Lageraufenthalten kommt sie erst 1954 frei und darf in die DDR ausreisen.

In letzter Minute flüchten Herbert Wehner und Lotte Loebinger 1936 nach Moskau. Sie werden mit anderen Exildeutschen im Hotel Lux einquartiert, wo politische Schulung und Verhöre zu ihrem Alltag gehören. Sie nehmen Kontakt zu ihren Freunden aus Berlin auf, die inzwischen in Moskau leben. Heinrich Vogeler war mit seiner Familie inzwischen im Haus der Regierung, das gegenüber dem Kreml an der Moskwa liegt, einquartiert. Sonja und Lotte treffen sich regelmäßig. Im selben Jahr entsteht der Film „Kämpfer“ mit dem Regisseur Gustav von Wangenheim. Viele Hauptrollen waren mit deutschen Exillanten besetzt. Zum Beispiel Lotte Loebinger als Mutter Lemke, Gregor Gog als Peters, Heinrich Greif als SA-Mann Eickhoff, Ada von Bastinella als Frau des Gefängnisaufsehers, Else Wolf als Nachbarin, Konrad Wolf als ihr Sohn. Heinrich Vogeler wird zusammen mit Teo Otto für die Bühnenarchitektur beschäftigt, Helen van Dongen ist Filmeditorin.

Im August beginnt der erste stalinistische Schauprozess in Moskau gegen Regimegegner, weitere folgen 1937 und 1938. Im Umfeld Vogelers werden immer mehr Männer und Frauen verhaftet, verschwinden und werden ermordet.

Etwa 1937/1938 porträtiert Vogeler Lotte Loebinger in seiner Wohnung, so hat sie selbst es in ihren Erinnerungen geschildert. Sie beschreibt den alten Freund als schweigsamen verschlossenen Menschen. Heinrich Greif sitzt ihm vermutlich in der selben Zeit für ein Porträt Modell. Greif war über Paris und Zürich nach Moskau emigriert und wurde von 1935 bis 1945 Chefsprecher der deutschsprachigen Sendungen von Radio Moskau. Dann kehrt er nach Berlin zurück und stirbt nach einer missglückten Operation ein Jahr später.

Lotte Loebingers Mann Herbert Wehner nutzt 1941 die Gelegenheit, dass er von der Partei nach Schweden geschickt wird, um sich dort abzusetzen. Sie überlässt ihm für die Flucht eine goldene Familienbrosche, die er in Goldzähne umarbeitet, damit es bei der Grenzkontrolle nicht auffiel. 1945 geht sie zurück nach Berlin und spielt an verschiedenen Berliner Bühnen und wirkt in diversen Filmen mit. Am Ende ihres Lebens hatte sie in 77 Filmen und unzähligen Theaterstücken mitgewirkt. Von ihrem Mann lässt sie sich erst 1952 scheiden. Seine Geschichte als einer der bedeutenden Nachkriegspolitiker Westdeutschlands ist hinlänglich bekannt und in dem zweiteiligen Doku-Drama von Heinrich Breloer 1993 verfilmt.

Das Ölgemälde „Lotte Loebinger“ von Heinrich Vogeler befindet sich seit einigen Jahren, gemeinsam mit einigen weiteren Werken aus dem Nachlass Heinrich Vogelers, im Bestand der Staatlichen Museen zu Berlin und ist 2004von dort als Dauerleihgabe nach Worpswede gegeben worden. Jan Jürgen Vogeler war es 1953 gelungen, die Werke aus dem Nachlass seines Vaters in die Nationalgalerie in Berlin-Ost in Obhut zu geben. Ein Jahr später präsentiert die Deutsche Akademie der Künste die Ausstellung „Heinrich Vogeler – Werke seiner letzten Jahre“ mit 35 Ölgemälden und diversen Zeichnungen. Im Katalog zur Ausstellung ist auch das Porträt „Lotte Loebinger“ verzeichnet.

Quellen:

Hrsg. Manfred Bruhn: Heinrich Vogeler 1872-1942, Ein Leben in Bildern mit einem aktuellen Werkkatalog der Gemälde von Rena Noltenius. Fischerhude 2013.

Bernd Stenzig: Worpswede Moskau, Das Werk von Heinrich Vogeler, 3. Auflage. Worpsweder Verlag 1991.

Heinrich Vogeler: Werden, Erinnerungen Mit Lebenszeugnissen aus den Jahren 1923-1942. Berlin 1989

Karl-Robert Schütze: Die Kugel in: Berlin in Geschichte und Gegenwart, Jahrbuch des Landesarchivs Berlin 2016.

Deutsche Akademie der Künste, Berlin: Heinrich Vogeler, Werke seiner letzten Jahre. Berlin 1955.

Lotte Loebinger. Wikipedia abgerufen am 5.11.2017

Lotte Loebinger in Internet Movie Database http://www.imdb.com/name/nm0517234/ am 5.11.2017 abgerufen.

Theodor Plievier. Wikipedia abgerufen am 5.4.2017

Otto Karl Heinrich Greif. Wikipedia abgerufen am 7.11.2017

Fotos:

Plastik Robert Riehle mit Vorder- und Rückseite. Im Nachlass Martha Schnaars-Vogeler. Fotografin: Ines Schiffbauer.

Gemälde Heinrich Vogeler, Frau im Lehnstuhl (Lotte Loebinger), 1937/1938, Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie (Inv.-Nr. A III 267), Dauerleihgabe an die Barkenhoff-Stiftung Worpswede. Foto: Barkenhoff-Stiftung Worpswede

 
 

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